Die grundlegende Idee des Psychodramas erscheint einfach und einleuchtend:

  • in kleinen Gruppen aktuelle, vergangene oder zukünftige Szenen wirklichkeitsnah oder phantastisch zu spielen,
  • gewünschte oder gefürchtete Bilder in Drama = Handlung zu übersetzen,
  • aus der Abgeschlossenheit der seelischen Innenwelt herauszutreten,
  • die alltäglichen Rollen mit ihren Vor- und Nachteilen, mit ihren fördernden und beengenden Seiten erleben, erweitern und verlassen zu dürfen, mit anderen im geleiteten Spiel nach Variationen und Alternativen zu suchen.

Dabei können komplexe Situationen in mehreren Szenen entwickelt oder Ausschnitte von Situationen fokussierend ins Bild gesetzt werden. Wie im Theater kann alles nur Denkbare szenisch dargestellt werden, kann jede Empfindung und jedes Gefühl Ausdruck finden.
Die Handlung wird von Mitspielern und Mitspielerinnen gemeinsam gestaltet, als ProtagonistIn, als AntagonistIn, als DoppelgängerIn, als Spiegel, als Hilfs-Ich. Sie entwickelt sich aus Aktionsimpulsen und der Spielfreude der Gruppe, nimmt Wünsche und Nöte auf, macht sie sichtbar und spürbar. Es gibt keine Festlegung auf Ernst oder Spaß, auf Tragödie oder Komödie. Mischung und Wechsel sind jederzeit möglich, Lachen und Weinen liegen dicht beieinander. Nach dem Spiel sprechen die Gruppenmitglieder über ihre Gefühle, über ähnliche Erlebnisse in ihrem Leben und über ihre Gedanken zum Thema. Aus der gemeinsamen Erfahrung eines Psychodramas kann ein Gewinn an emotionaler Freiheit, an Bereitschaft zu kreativer Aktivität und an Erkenntnis folgen. Wenn etwas ungelöst bleibt, kann eine weitere Szene folgen.Wesentlich für das Psychodrama ist die spontane, freie Wahl der Spielrollen in jeder Szene. Dieser Wechsel spricht verschiedene Seiten und Ausdrucksweisen der Einzelnen an, fördert die Beweglichkeit und ermöglicht verschiedene Positionen in der Dynamik der Gruppe.

Mit Hilfe soziometrischer Techniken wie Soziogrammen, Gruppenskulpturen und symbolischen Bildern läßt sich Klarheit gewinnen über Charakter und Intensität der Beziehungen im Netz der Gruppe. Eingestandene oder uneingestandene Anziehung, Distanz und Dominanz treten hervor. Verborgene Gruppenthemen und kritische Untergruppengefüge werden in Gruppenspielen deutlich. Allzu statische Positionen im System der Gruppe können sich lockern. Die verschiedenen Rollen lassen die Muster der individuellen Geschichte und die der gesellschaftlichen Rollenvorschriften hervortreten.

Durch die Arbeit an der „Rollentransparenz“ wird es möglich „Rollenfixierungen“ zu lösen und Freiheit zur Wahl neuer Verhaltensweisen und Kontaktformen zu schaffen. Dabei zeigt sich, wie oft Symptome und Blockaden als Störungen von Beziehungen verstehbar und zugänglich werden. Das Soziodrama ermöglicht einen Zugang zu gesellschaftlichen wie der „lebenden (=gespielten) Zeitung“. Der Rollentausch hilft gerade hier, die Positionen Themen und Konflikten, so im Planspiel und durch Techniken verhärteter Kontroversen klarer zu sehen. Indem man sich z.B. in ein fremdes oder feindselig erlebtes Gegenüber hineinversetzt und dessen innere Dynamik erlebt, wird dieses von seinen Voraussetzungen aus verstehbar, werden gegenseitige Abhängigkeiten und Einflußnahmen sichtbar, und der eigene Standpunkt läßt sich bewußter reflektieren und deutlicher definieren.

Die Idee zum Psychodrama und einen wesentlichen Teil seiner praktischen Entfaltung und theoretischen Fundierung verdanken wir Jakob L. Moreno.

„Als junger Arzt gründete ich das Stegreiftheater (1921) in der Maysederstraße nahe der Wiener Oper. Dort wurde mir klar, welche therapeutischen Möglichkeiten im Ausspielen, im aktiven strukturierten Ausleben von seelischen Konfliktsituationen liegen“. (Moreno in: Gruppenpsychotherapie und Psychodrama, 1959, S. 14)

Als Pionier der Gruppenpsychologie und Gruppenpsychotherapie hat Moreno in seiner intuitiv kreativen Arbeitsweise viele theoretische Gesichtspunkte erfaßt, die dann von anderen wissenschaftlichen Richtungen und Schulen klarer formuliert und selbständig entwickelt wurden. Mittlerweile können im modernen Psychodrama zu den verschiedenen Aspekten der komplexen szenischen Arbeit die vorliegenden Modelle genutzt werden. Die bewegliche Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen in Handlung, Spiel und Sprache, wie sie im Psychodrama gepflegt wird, entzieht sich zwar einer globalen Theorie, erfordert jedoch um so mehr die Reflexion mit Hilfe der verschiedenen theoretischen Perspektiven. So treten besonders in der psychodramatischen Arbeit mit Symbolen und im spontanen Spiel unbewußte Inhalte zutage und können im Rahmen tiefenpsychologischer bzw. psychoanalytischer Theorien reflektiert werden. Beim Spiel alltäglicher Szenen und ihrer Variationen (auch in die Zukunft) enthält das Psychodrama Elemente des Übens von Verhalten; hier kann lerntheoretisches Denken einbezogen werden. Die Beziehungsdynamik von „natürlichen“ Gruppen, z.B. Familien, kann inszeniert und Gegenstand systemischer Reflexion werden.

Die menschliche Fähigkeit zu szenischem Spiel, zum Handeln in Rollen, zur Darstellung in Bildern und Symbolen zeigt sich schon in der originären Spiellust und Phantasie der Kinder. Beim Erwachsenen scheint sie oft verblaßt durch die Überbetonung sprachlichen Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens, ist jedoch leicht wieder anzuregen. Eine Stärke des Psychodramas liegt in der engen Verbindung von Gruppen- und Einzelarbeit in Handlung, Spiel und Reflexion. Die psychodramatische Arbeit mit Einzelnen im protagonistenzentrierten Psychodrama und die Arbeit mit der Gruppe im gruppenzentrierten Psychodrama greifen ineinander.

Bei der Arbeit mit Einzelnen wird auch die Entwicklung der Gruppe gefördert; die anderen sind als MitspielerInnen beteiligt oder erleben als BeobachterInnen die dargestellten Probleme mit. In der Arbeit an Gruppenthemen und Gruppenkonflikten, sei es im Stegreifspiel oder in soziometrischer Form, erhält jeder Gruppenmitglied persönliche Rückmeldungen über seine Bedeutung und Position im Gruppengefüge. Im Sharing, der wechselseitigen Mitteilung der eigenen Gefühle und Erfahrungen zu einer gemeinsam erlebten Szene, vertieft sich die Begegnung der Einzelnen. Modernes Psychodrama betont die Fähigkeit der Gruppe zu kreativer Gestaltung und Problemlösung, indem es den Zusammenhalt und die Selbständigkeit der Gruppe entwickelt. Es strebt an, die Einzelnen möglichst viel persönliche und gegenseitige Verantwortung übernehmen zu lassen und die Gruppe, soweit es sinnvoll ist, an den Leitungsfunktionen zu beteiligen. Das Psychodrama nimmt im Spektrum der Methoden eine Zwischenstellung ein mit mancherlei Überschneidungen und Berührungen. Das erleichtert die Kombination mit anderen Verfahren und erschwert manchmal die Abgrenzung.

Psychodrama gehört zu den Therapie- und Selbsterfahrungsmethoden, die emotionale Expression in verschiedener Intensität für wichtig halten. Es verfügt über eine Vielzahl gut erprobter Handlungstechniken und eine entwickelte Praxeologie, die bisher meist persönlich und weniger schriftlich weitergegeben wurde; das ändert sich in den letzten Jahren, in denen auch die im engeren Sinne wissenschaftliche psychodramatische Arbeit zunimmt.

In der konkreten oder szenischen Arbeit mit Körperlichkeit und psychosomatischen Themen, die sowohl konfliktzentriert und aufdeckend wie übungszentriert und eher funktional sein kann, stehen die Erkenntnisse verschiedener körpertherapeutischer Verfahren zur Verfügung. Eine besondere Aufgabe der psychodramatischen Praxis und Forschung besteht somit für den Bereich von Übergang und Schnittpunkt verschiedener Theoriemodelle, für die Fragen ihrer Ergänzung oder Unverträglichkeit. Die besonderen Möglichkeiten des Psychodramas liegen in:

  • plastischer Darstellung individueller, zwischenmenschlicher und sozialer Probleme,
  • spontaner Aktion, freier Rollenwahl und Soziometrie,
  • integrierender Arbeit mit Bildern, Handlungen, Körperlichkeit und Sprache.

Psychodrama fördert in besonderer Weise die kreative Zusammenarbeit und die Kohäsion in der Gruppe. Es öffnet szenischen Spielraum für die Einzelnen, ihre Fähigkeiten zur Phantasie und Gestaltung in die intensive Wechselseitigkeit der Gruppe einzubringen und ihre Bedeutung für die Gruppe zu erleben.